Praxis Marcus Berg

Täglich grüßt das Murmeltier – Corona und seltene Syndrome

Täglich grüßt das Murmeltier – Corona und seltene Syndrome

Zum Murmeltier-Tag verschlägt es den Wettermann Phil in die Provinz, um über ein alljährliches Wetter-Ritual zu berichten. Doch dann gerät er irgendwie in eine Zeitschleife und muss denselben Tag immer wieder aufs Neue erleben. Vielleicht kennen Sie diese Komödie aus Hollywood. So geht es mir seit einigen Wochen. Täglich werden mir in Talkshows und Nachrichten angeblich neue Erkenntnis über Corona mit dramatischer Stimme von Fachexperten präsentiert. Da werden nachdenkliche Mediziner in weißem Kittel gezeigt, welche über CT Bilder sinnieren und die Vielfalt der Komplikationen verstehen möchten. Heute ist mal wieder Murmeltiertag und vielleicht kann ich den Kollegen etwas helfen, schließlich erlebe ich den Tag ja heute nicht zum ersten Mal.

Thrombosen, Embolien und Herzinfarkt

Der Chefarzt einer Klinik erklärt in die laufende Kamera, dass Coviderkrankte gehäuft an thromembolischen Komplikationen wie Herzinfarkte, Lungenembolien, Schlaganfälle leiden, sogar Embolien in den Darmversorgenden Gefäßen würden beobachtet werden. Das sei wirklich neu, täglich lerne man dazu, damit habe man nicht gerechnet und sei überrascht. Eine Virologin sitzt in der Talkshow und lässt uns wissen, dass sie am Anfang dachte „stecke ich mich halt an, dann habe ich die Infektion hinter mir“ heute wisse sie „das könne so schlimme Komplikationen wie Thrombembolien auslösen und vielleicht sogar mehr“. Ich reibe mir die Augen – mein Murmeltiertag hat mich im Griff, was mir hier als umwerfende Neuerung verkauft wird, hat schon einen längeren Bart als Methusalem und Vater Abraham zusammen.

Lassen Sie uns gemeinsam mal in die Vergangenheit blicken. 1969/1970 gab es in der Bundesrepublick eine saisonale Grippe. Da stoße ich auf einen Bericht veröffentlicht in der medizinischen Wochenschrift: Der Fachartikel von Prof. Haferkamp und Matthys (Universitätsklinikum Ulm) trägt den Namen „Grippe und Lungenembolien“ und beschreibt sehr anschaulich, dass bei einigen Menschen, die an Grippe verstorben sind, eine Kombination aus Grippe und Thromboembolien vorlag. Es ist also keineswegs eine Neuerung, dass bei schweren Infektionen die Anzahl von thrombembolischen Ereignissen steigt. Ganz im Gegenteil es ist seit mindestens 50 Jahren bekannt und gut dokumentiert. Störungen in der Gerinnung sind ein wesentlicher Bestandteil der Komplikationen bei Patienten mit schwersten Infektionen, was für jeden halbwegs erfahrenen Intensivmediziner wirklich kein Geheimnis ist. Schwere Infektionen können auch Entzündungsprozesse in der Innenschicht der Blutgefäße auslösen, wodurch die Bildung von Blutgerinsel begünstigt werden. Das geschieht bereits bei einfachen Operationen, weshalb wir Patienten standardmäßig eine Thromboseprophylaxe geben. Wer aber eine schwere Infektion durchmacht, hat währenddessen und kurze Zeit danach ein deutlich erhöhtes Risiko für Embolien und Thrombosen. Auch wenn der Professor mit ernster Miene in die Kamera blickt – es ist nicht neu – es ist Murmeltiertag.

Vom neuartigen Kawasaki Syndrom

Gerade bin ich aufgestanden und habe mir die Zähne geputzt und schon vernehme ich aus dem Radio „Experten warnen vor Mysteriösen Erkrankungen bei Kindern“. „Und die Autoindustrie bräuchte Kaufprämien“. Meine Hoffnung, die Zeitschleife könnte vorbei sein, findet ein abruptes Ende. Ein New Yorker Arzt empfehle alle Kinder unbedingt in der Wohnung einzusperren, seien Sie doch vom neuartigen Kawasaki-Syndrom bedroht.

Das Kawasaki-Syndrom, was so klingt wie ein Motorrad, wurde erstmalig 1961 in Japan beschrieben. Es handelt sich um eine Erkrankung, welche nach Infektionen als überschießende Immunantwort auftritt. So wurde diese anfänglich mit Herpesviren der Gruppe 7, als auch mit humanen Coronavirus NL 63 in Zusammenhang gebracht. Das Kawasaki-Syndrom ist eine Gefäßerkrankung, bei der es zu Entzündung der kleinen und mittleren Arterien (Vaskulitis) mit teilweiser Mitbeteiligung innerer Organe und des Herzens kommt. In denen unter den SARS Cov 2 auftretenden Fällen weisen die Kinder einen ähnlichen Krankheitsverlauf auf, der sich aber in einigen Punkten unterscheidet, gleichwohl handelt es sich um eine Gefäßentzündung. Aus diesem Grunde spricht man von einem inkompletten Kawasaki-Syndrom beziehungsweise einem Hyperinflammations-Syndrom und man hat kürzlich vorgeschlagen dieser Variante einen eigenen Namen zu geben, was eine Definitionssache ist. Bedenken muß man aber, dass auch ohne Coronavirus das Kawasaki-Syndrom bei etwa 6,4-7,2 mal pro 100.000 Kinder im Alter unter 5 Jahren auftritt. Das heißt ohne die Corona Infektion rechnen wir mit etwa 430-500 Fällen pro Jahr in dieser Altersklasse.

Aktuell wurden nach den Daten der Deutschen Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie bis Anfang Mai 128 Kinder stationär wegen SARS-Cov 2 behandelt. 17 Kinder benötigten eine intensivmedizinische Behandlung, zwei der gemeldeten Kinder hatten Symptome eines Kawasaki-Syndrom. Keines der Kinder ist verstorben.

Wir können also zusammenfassend sagen, dass in Ländern in denen extrem viele Kinder infiziert wurden, auch zwangsläufig mit einem Anstieg eines solchen überschießenden Entzündungssyndromes gerechnet werden muß. In unserem Land waren die Fallzahlen sehr niedrig, schließlich haben wir keine Slums oder große Armenviertel. Wir brauchen also nicht erwarten, dass es jetzt plötzlich zu einer massenhaften Erkrankung von Kindern mit dem Kawasaki-Syndrom kommt. Das Risiko, dass ihr Kind an einem Kawasaki-Syndrom durch Coronaviren erkrankt und verstirbt ist ungefähr so hoch, wie das Risiko von einem Geisteskranken vor einen fahrendenden D-Zug gestoßen zu werden. Die Annahme, das Coronavirus könne keine begleitenden überschießenden Immun-Abwehrreaktionen hervorrufen, wäre von Anfang an unwahrscheinlich und naiv gewesen. Es wurde ja in der Vergangenheit bereits unter Coronaviren beschrieben. Dies als dramatische Neuerung zu bezeichnen, die suggeriert, man wisse über diese Phänomene nichts, ist Sensationsgier. Wir brauchen uns in Deutschland keine Sorgen zu machen. Diese Erkrankung ist im Grunde lange bekannt, sie tritt nach Virusinfektion gehäufter auf und es ist erwartbar, dass unterschiedliche Viren verschiedene Varianten und Ausprägungen auslösen können.

Geschmacksstörungen und Geruchsverlust

Das Radio geht an, 6 Uhr Aufstehzeit; der Nachrichtensprecher informiert mich das „Covid zu Geschmacksstörungen und Geruchsverlust führen könne – ja der ganze Gehirnstamm könne sich entzünden und das die arme Autoindustrie…..“ Ich habe schnell das Radio abgeschaltet und mache mich auf den Weg, schließlich weiß ich, dass Murmeltiertag ist. Immerhin kann ich doch allmählich fast jeder Nachrichtensendung einen humoristischen Aspekt abgewinnen. Da geht es mir wie Phil – wir beide machen das Beste aus diesem Tag.

Die Symptome kurz erklärt: Es handelt sich hierbei schlicht um eine begleitende Nervenentzündung, der Mediziner bezeichnet dies als Neuritis. Sie ahnen es bestimmt, es gibt eine Vielzahl von Viren die Nervenentzündungen auslösen können. Am bekanntesten ist das Herpes-Zoster Virus, garantiert kennen sie jemanden der ihnen zu berichten vermag, wie schmerzhaft die Nervenentzündung nach einer Zosterinfektion sein kann – eine Zosterneuropathie. Es ist nichts Neues, dass ein Virus eine Nervenentzündung auslösen kann. Gleiches gibt es auch für Hirnnerven wie die Fazialisparese nach Infektionen. Das Masernvirus kann eine der schlimmsten Nervenentzündungen bei Kindern bewirken, die immer tödlich verläuft. Das wir hier einen guten Impfstoff haben und es hartnäckige Impfgegner gibt, die ihre Kinder nicht schützen, sei hier nur am Rande erwähnt. Da sind sie mit dem Verlauf bei Covid allerbestens bedient. Die Geschmacks- und Geruchsstörungen durch Covid entsprechen einer Neuritis und bilden sich komplett zurück, also kein Grund zur Verzweiflung. Und wieder grüßt das Murmeltier.

Information oder Panikmache?

Selbstverständlich diskutieren Ärzte in Fachkreisen solche Symptome, bewerten und beschreiben diese, was ihre wissenschaftliche Aufgabe ist. Wenn Ihnen aber jemand mit Dramatik erklärt, SARS Cov 2 mache etwas völlig Neues, mit dem wir als erfahrene Ärzte gar nicht rechnen, wissen Sie nun, es geht nicht um Information, sondern um Panikmache, Angst schüren, Verunsicherung und Sensationspresse. Denn Sie als Laie können diese Information selbst nicht einordnen, weil Ihnen das Wissensfundament fehlt. Auch wenn es manche Menschen gerade nicht glauben wollen, dauert ein Medizinstudium mehrere Jahre. Mit solchen Aussagen kann ich also absolut sicher sein, nicht zu Talkrunden der öffentlichen Medien eingeladen zu werden.

Wie kommen wir jetzt bloß aus der Zeitschleife raus frage ich mich -vielleicht nehmen wir uns ein Beispiel an Phil.

Phil nutzte die Wiederholung der Zeit und schaffte es sich in einen besseren, selbstloseren Menschen zu wandeln. Er rettet zwei Menschen das Leben, hält eine berührende Rede über den Murmeltiertag, wird in der Stadt durch seine guten Taten zu einem allseits beliebten Menschen. Gleichsam muß er lernen, dass es ihm bei keinem seiner Versuche gelingt einen altersschwachen obdachlosen Mann vor dem Tod zu bewahren, aber seine letzten Stunden zu verschönern. Als sich dann noch Rita in ihn verliebt, endet die Zeitschleife. Für uns bedeutet das, wir gehen rücksichtsvoller miteinander um, denken mal nicht nur an unsere Interessen und Vorteile, nehmen uns nicht so wichtig. In der Bibel im Buch der Prediger finden Sie die Zusammenfassung:

Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.

11.06.2020

Marcus Berg