Praxis Marcus Berg

+ Patientenverfügung

Befragt man in einer beliebigen Fußgängerzone die Menschen, ob sie sich Ihr Lebensende auf einer Intensivstation – verkabelt, beatmet und an einer Dialyse angeschlossen – vorstellen können oder gar wünschen, so wird zweifelsohne jeder diese Frage mit „auf gar keinen Fall“ beantworten.

Hierbei vergisst man allzuoft, dass sich die Intensivmedizin mit Ihren technischen Möglichkeiten dem Ziel Leben zu retten verschrieben hat, sonst könnte Sie auch niemals erfolgreich sein. Die betreuenden Kollegen, Schwestern wie Pfleger haben einzig das Wohlergehen der Patienten im Blick, dabei stehen sie nahezu immer im Feld zwischen Leben und Sterben. Offensichtlich gelingt es andererseits in Deutschland jedoch nur unzureichend, einen beginnenden Sterbeprozess zu akzeptieren und dem Menschen einen würdevollen, schmerzfreien Tod zu ermöglichen. Vielleicht ist es hilfreich durch ein Beispiel, wie es sich fast täglich wiederholt, diese Problematik zu verdeutlichen:

Patient Herr Otto X leidet seit vielen Jahren an einem schweren Hirnabbauprozess. Nachdem viele Funktionen verloren gegangen sind, fällt das Schlucken nun täglich schwerer, häufig landen Nahrungsreste unbemerkt in der Lunge, welche mangels Kraft nicht abgehustet werden können und auch keinen Hustenreiz mehr auszulösen vermögen. Die erste Folge ist der eintretende Gewichtsverlust, der den Pflegekräften des Altenheimes auffällt. Es wird das Legen einer Ernährungssonde diskutiert und diese schließlich auch durchgeführt. Nun erfolgt die Ernährung über die Bauchdecke. Die stetige Immobilisation, langes Liegen und nicht Schlucken können des Speichels führen im weiteren Verlauf zu einer Lungenentzündung. Der Zustand verschlechtert sich sehr schnell, hohes Fieber tritt auf, der Patient ist nun nicht mehr wirklich ansprechbar und reagiert kaum. Der am Wochenende hinzugezogene Arzt des Notfalldienstes kennt weder Familie, Krankheitsverlauf noch Lebensumstände, kann vielleicht – oder möchte keine Verantwortung übernehmen und verfügt die Krankenhauseinweisung. Der Transport in die Klinik durch den herbeigerufenen Rettungsdienst ist reine Routine. Der junge Kollege der überefüllten Notaufnahme steht vor gleichem Problem, hier kommt zusätzlich der emotionale Druck hinzu, wie erkläre ich am nächsten Morgen in der Besprechung das ich nicht alles unternommen, sogar aktiv unterlassen habe und der Patient nun verstorben ist. Der Ausweg aus dieser Situation ist die Aufnahme auf einer Intensivstation – einer Station, die kompromisslos auf die Rettung von Leben ausgerichtet sein muss. Es folgen Antibiotikagabe, Beatmung und das Nutzen aller technischer Möglichkeiten. Nach wenigen Wochen des Krankenhausaufenthaltes wird der Patient dann in seine Pflegeeinrichtung naturgemäß schwächer und weiter abgebaut entlassen. Das Spiel beginnt dann nach einer gewissen zeitlichen Verzögerung von Neuem. Wie oft habe ich erleben müssen, wie Menschen auf dem Gang einer überfüllten Notaufnahme unter Neonlicht verstarben.

Das ist eine Entwicklung der Medizin, welche viele Menschen als Irrweg begreifen und dies ablehnen, meine Person eingeschlossen. Die Stärkung der Patientenrechte, welche als Folge dieser Fehlentwicklung begriffen werden kann, ermöglicht jedem Menschen hier Handlungsanweisungen zu formulieren, welche den behandelnden Ärzten und insbesondere auch den Angehörigen helfen sollen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Hilfreich können diese Anweisungen indess nur dann sein, wenn Sie eindeutige und realitätsnahe Entscheidungsrichtlinien enthalten. Schlecht formulierte Patientenverfügungen sind hierzu all zu oft schlicht ungeeignet und tragen sogar eher zur allgemeinen Verwirrung bei. So fragt sich der junge Kollege unserer Beispielnotaufnahme : „Woher bekomme ich morgens um zwei Uhr, die zwei in der Patientenverfügung eingeforderten unabhängigen Gutachter her“? Welche sich zudem bereit finden müssen zu dokumentieren, dass sich der Patient „sicher, unabwendbar im unmittelbaren Sterbeprozess befindet“. Eine für Deutschland typische Juristen-Formulierung, welche zwar zu einer klaren Regelung führt, doch einen Fall zu Grunde legt, der garantiert niemals in der Praxis vorkommt.

Es sei noch einmal betont: Eine Patientenverfügung sollte keine grundsätzliche Ablehnung jeglicher intensivmedizinischer Maßnahmen sein oder gar ein verzerrtes, ja unmenschliches Bild der Intensivmedizin malen. Vielmehr soll sie Hilfe in Grenzbereichen des menschlichen Lebens sein. Entscheidungshilfe für Behandler, aber vor allem für die Angehörigen des Patienten, die sich meist in großer Ohnmacht und Hilflosigkeit befinden.

Wir stellen uns in unserer Praxis diesem Problem und bieten Ihnen die gemeinsame Erstellung einer Patientenverfügung mit Vorsorgevollmacht an. Am Anfang erheben wir Ihre Wünsche und Vorstellungen zu Leben, Tod und Krankheit. Wer soll sie vertreten? Was soll getan – was unterlassen werden? Wie stehe ich zu Fragen der Organspende? Was glaube ich? Was wünsche ich mir am Ende meines Lebens?

Danach verfassen wir gemeinschaftlich Ihre persönliche Patientenverfügung, die Sie dann als Entwurf zur Kontrolle erhalten. Sie haben die Möglichkeit alles mit Ihrer Familie in ruhe zu besprechen und Änderungen vorzunehmen. Danach erfolgt ein weiterer Beratungstermin, gerne auch mit einer persönlichen Vertrauensperson, bei dem jeder medizinisch relevante Punkt erneut besprochen und erklärt wird und Zeit und Raum für Ihre Fragen gegeben ist. Erst wenn alles besprochen und entsprechend Ihrer Wünsche formuliert ist, erfolgt die Dokumentation Ihrer persönlichen Patientenverfügung. Diese ist in Ihrer Wirkung einer notariellen Patientenverfügung gleichgestellt. Die Empfehlungen der Bundesärzte­kammer und der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärzte­kammer sollen uns in diesem schwierigen und emotionalem Themenkreis Hilfe und Richtschnur sein. Es bleibt hinzuweisen, dass selbstredend dies keine Leistung der Krankenkassen sein kann.