Das Coronavirus und die Verantwortung in Freiheit
Politisches Denken im Wandel:
Die aktuelle Herausforderung, eine Infektionserkrankung zu bewältigen, macht das in den letzten Jahren etablierte Denken über die Aufgaben von Politik, Staat und Demokratie sichtbar.
Die Aufgabe eines demokratischen Staates ist es, die Rahmenbedingungen zu stellen, in denen Menschen in Freiheit und Frieden selbstbestimmt leben. Er garantiert eine Rechtsordnung, die Gleichheit vor dem Gesetz, Bildung, Sicherheit und Infrastruktur gewährt. Dazu zählen auch das Gesundheitswesen und der Schutz des Lebens.
Etabliert hat sich mittlerweile ein System eines all umsorgenden pflegenden Staates, der sich um nahezu sämtliche Belange und kleinsten Details seiner Bürger kümmert und glaubt diese regeln zu müssen. Damit einhergehend entsteht ein ganz neues Selbstverständnis und Bild der Bürger, die zunehmend einfordern, der Staat möge alle ihre Belange lösen und ihnen unliebsame Entscheidungen abnehmen.
Die Konsequenz ist, dass die Menschen damit gleichsam zu unmündigen Kindern generieren. Sie werden zu Bürgern, die ohne den regelnden Schutz des demokratischen Staates zu keinen rationalen und für sich selbst sorgenden Entscheidungen fähig sind. Die Politik formuliert das gewöhnlich mit der Umschreibung der „politischen Verantwortung“. Da man den Menschen nicht zutraut, für sich selbst zu sorgen, glaubt man, mit einer unglaublichen Anzahl von Normen, Gesetzen und Regulierungen, die Menschen auf den rechten Pfad der Tugend führen zu müssen. Paart sich dies mit Angst und Gesundheitsschutz so finden selbst drastische Regulierungen hohe gesellschaftliche Akzeptanz.
Für den Bürger ist das sehr bequem, muss er doch nun keine Verantwortung mehr für sein Leben übernehmen, sondern kann auf den Staat verweisen. In China hat man diesen Gedanken schon zu Ende gedacht und in einigen Pilotstädten Systeme zur vollständigen Überwachung installiert. Bürger, die sich dort an alle Normen und Regeln halten, die ihnen der behütende wohlmeinende Staat vorgibt, werden durch Punkte belohnt, die nicht Gefügigen mit Maluspunkten bestraft, was dort durchaus auf breitere Zustimmung trift. In den östlichen Bundesländern hatte man über viele Jahre einen solchen Staat, welcher seinen Bürgern genau vorschrieb, was für die Menschen richtig ist, diese dafür aber einsperren musste.
Von Betreuern und Betreuten.
Es stellt sich gleichwohl die Frage, wenn der Bürger stetige Betreuung in all seinem Alltagsleben benötigt, wer darf die Menschen betreuen? Die gewählten Parlamentarier werden mit Einzug in das Parlament erhellten Geisteswesen gleichgestellt, die das Leben und seine unweigerlichen Gefahren und Krisen alleine verstehen können. Man hört dann in Talkshows von Politikern Sätze wie: „es wäre zum jetzigen Zeitpunkt unverantwortlich“; „man muss den Leuten schon erklären“ was immer impliziert, ich weiß was richtig für euch ist, alle anderen wissen es leider nicht und deshalb braucht ihr Gesetze und Verordnungen, die euch zum richtigen Verhalten zwingen. Jeder findet als rechtfertigende Begründung ein Beispiel von irgendjemanden, der sich nach seiner Ansicht unvernünftig verhält und deshalb eine strikte Ermahnung oder Bestrafung benötigt. „Der gefährdet ja nicht nur sich, sondern auch andere“ ist eine häufige Begründung die Eigenverantwortung zu nehmen und diese durch Regelungsversuche zu ersetzten, was gleichbedeutend mit Einschränkung der Freiheit ist. Kein Klardenkender wird bezweifeln, dass dies notwendig sein kann, dehnt es sich aber in alle Lebensbereiche aus, wird es zur Gefahr für Selbstbestimmung und Freiheit. In manch einer europäischen Demokratie hat das Staatsoberhaupt konsequenter Weise ein Sendungsbewußtsein abgeleitet und damit einhergehend den festen Glauben entwickelt, ganz alleine zu wissen, was für die Menschen richtig ist.
Alles Geregelt ?
Zu dem Wunsch, jeden Lebensbereich beschützend zu regeln etablierte sich zusätzlich die Vorstellung auch allerkleinste Minderheiten zu berücksichtigen und zu behüten. Es entstanden abstruse und realitätsferne Vorschriften, die man nur noch als Real-Satire bezeichnen kann. Um jeden noch so banalen Aspekt zu regeln, wächst Zahl und Umfang der Verordnungen und Gesetze.
Die zehn Gebote umfassen 81 Worte, die amerikanische Unabhängigkeitserklärung 1.390 Worte, die Euro-Norm zur Vermarktung von Bananen 2.232 und die Hygieneleitlinie der kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz für Arztpraxen über 45.000 Worte.
An Schulen müssen Gender Toiletten eingeführt werden, man toleriert aber selbstverständlich völlig marode Gebäude, bei denen die Sanitäranlagen schon lange beschämend sind. Die Zusatzstoff-Zulassungsverordnung, treibt Blüten, dass die Grundschulen keine selbstgebackenen Kuchen mehr verkaufen wollen, weil ja alles deklariert sein muss. Wer möchte schon die „politische Verantwortung übernehmen“, dass der Sellerieallergiker nach Genuss eines selbstgebackenen falsch deklarierten Kuchens verstorben ist? Oder denken wir an die kleinen Küchen in den Kindergärten, wo aufgrund der Lebensmittelhygieneschutzverordnungen alles jetzt eingeschweißt aus der Fabrik kommt, wo vorher meist liebevoll und frisch gekocht wurde. Die Datenschutz-Grundverordnung, die Google und Co. dank einem Stab bester Juristen durch Unüberschaubarkeit und mit erzwungener bürgerlicher Zustimmung in wenigen Minuten ein noch uneingeschränkteres Nutzungsrecht von Daten brachten, während gleichzeitig Selbstständige, Vereine und Arztpraxen an der Umsetzung verzweifeln. Jeder von uns kann diese Liste aus seinem eigenen Lebensbereich und Erfahrungsschatz weiter unendlich ergänzen.
Verantwortung übernehmen heißt Zukunft gestalten
Ergänzen möchte ich, dass unser Staat auch nicht dafür zuständig ist, Zukunft zu gestalten, gerade weil das stetig suggeriert wird. Die Zukunft wird in einer freiheitlichen Gesellschaft durch jeden einzelnen Menschen beeinflusst und gestaltet. Politik kann deshalb auch niemals alternativlos sein. Die Weltverbesserer jeglicher Couleur und Friday for Future-Jugendlichen möchte ich behutsam erinnern, dass sie selbst für ihr Verhalten verantwortlich sind und folglich mit ihrem Verhalten die Gesellschaft gestalten und nicht etwa der Staat.
Das heißt, wenn man Massentierhaltung ablehnt und diese nicht möchte, darf man keine Produkte aus Massentierhaltung kaufen. Wenn man Ruhe möchte, sollte man keinen Lärm machen. Wenn man unter dem starken Flugverkehr am Rhein-Main-Airport leidet, sollte man nicht zweimal im Jahr in Urlaub fliegen. Wenn man die Schadstoff-Belastung in den Innenstädten verringern möchte, empfehle ich das Fahrrad oder den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen. Wenn man Klimaerwärmung bekämpfen möchte, sollte ich vor allem selbst Energie sparen. Wenn wir Tröpfcheninfektionen unterbinden wollen, sollten wir uns die Hände waschen und desinfizieren, uns zur Begrüßung in die Augen sehen, uns freundlich und respektvoll verbeugen und wenn wir erkranken, die anderen schützen, in dem wir Mundschutz tragen oder zuhause bleiben. Verordnungen und Gesetze sind hierfür entbehrlich, da sie keine Rücksichtnahme ersetzen und erzwingen können.
Aus der Änderung unseres eigenen Verhaltens entsteht die Veränderung der Welt.
Freiheitliche Demokratie heißt – Verantwortung für sein Leben zu übernehmen
So ergeben sich aus der so bezeichneten Corona-Krise einige Denkanstöße, die zeigen, wie wichtig eine funktionierende, freiheitliche Gesellschaft ist. Die Menschen müssen die Verantwortung für ihr eigenes Leben übernehmen, sonst wird ihre selbstbestimmte Lebensgestaltung und Freiheit immer mehr begrenzt. Ich persönlich möchte keinen Politiker der Verantwortung für mein Leben übernimmt, da er dies auch objektiv gar nicht vermag – auch nicht während einer Infektionserkrankung. Eine Viruserkrankung kann man anfänglich mit allgemeinen Ausgangssperren und Einschränkungen von Freiheitsrechten eindämmen, dauerhaft werden wir scheitern, wenn die Menschen nicht freiwillig und selbstbestimmt Hygieneregeln beachten, wenn wir nicht rücksichtsvoll und achtsam mit einander umgehen lernen und auch die Schwachen in der Gesellschaft nicht vergessen. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Menschen sehr wohl schnell lernen und wissen, wie man sich in einer Infektionslage verhält, indem wir liebevoll auf einander achten. Angst braucht uns dabei nicht zu lähmen. Wir dürfen Zuversicht haben und so mögen die Steine auf unserem Weg kein Hindernis sein, sondern eine Hilfe im Strom des Lebens.
Nieder-Olm, 01.05.2020
Marcus Berg